
Landwirtschaft
braucht Tiefblick
Moritz Nabel, Bundesamt für Naturschutz, BfN
Boden ist die nicht erneuerbare
Grundlage unserer Ernährung!“
Diesen Satz liest man nicht erst
seitdem die EU Kommission
den Bodenschutz wieder weit nach oben
auf die politische Agenda gepackt hat 1.
Dabei stimmt dieser Satz so eigentlich
gar nicht. Denn unter unseren Wäldern,
Äckern und Wiesen arbeiten unzählige
Organismen, unterstützt von physikalischer
und chemischer Verwitterung daran
neuen Boden aufzubauen. Das Problem ist
nur, dass sie dafür sehr, sehr lange brauchen.
In 1000 Jahren kommen nur wenige
Millimeter neuen fruchtbaren Bodens
zusammen 2. Das ist weit weniger, als wir
auf Grund von Missmanagement durch
Erosion und Degradation im gleichen Zeitraum
verlieren 3. Ein aktives und diversen
Bodenleben bietet hier den Ausweg.
Denn diese kleinen und unscheinbaren
Lebewesen sind es, die Böden stabilisieren,
sie belüften und dafür sorgen, dass
Wasser einsickert und zusammen mit den
darin gelösten Nährstoffen über lange
Zeiträume gehalten wird. Sie zersetzen
abgestorbenes Material, arbeiten es fest
in die Bodenmatrix ein und schließen
Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufe 4.
Regenwürmer allein können pro Jahr 12
kg pro Quadratmeter verlagern 5. Nebenbei
reinigen Bodenorganismen Böden
von so manchen Schadstoffen, die wir
unbedacht in die Umwelt eintragen. Symbiontische
Organismen im Boden helfen
unseren Kulturpflanzen bei der Nährstoff-
und Wasseraufnahme. Gerade vor dem
Hintergrund des Klimawandels werden
diese Aspekte wichtiger denn je 4. In der
Summe all dieser Ökosystemleistungen
schaffen und erhalten Bodenorganismen
die essentielle Grundlage unserer Ernährung
– den fruchtbaren Boden!
Besinnung
Unser Glück ist, dass diese kleinen
unscheinbaren Organismen nicht nachtragend
sind. Seit der Verfügbarkeit schlagkräftiger
Maschinen und Agrochemikalien
gingen viele Menschen davon aus, dass sie
damit allein in der Lage wären das komplexe
System Boden managen zu können
und vernachlässigten den Erhalt des
Bodenlebens. Wie wir heute wissen, war
dies ein großer Trugschluss. Weltweit hat
das Missmanagement von Böden zu einem
immensen Verlust fruchtbarer Ackerflächen
geführt. Nach Angaben des Übereinkommens
der Vereinten Nationen zur
Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD)
und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation
der Vereinten Nationen (FAO)
sind die meisten Böden bereits heute in
einem schlechten Erhaltungszustand 6.
Auch in Europa folgen unsere Böden einer
schlechten Entwicklung: 35% der Böden
zeigen deutliche Verdichtungsschäden und
45% der Böden haben bereits deutlich an
organischer Substanz im Oberboden verloren
7. Die Ernährungssicherung von bald
9 Milliarden Menschen kann nur gelingen,
wenn wir den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit
wieder in den Fokus der Landbewirtschaftung
setzen. Wir haben das Privileg,
dass wir auf das Know-How und die Tatkraft
von unzähligen kleinen Helfern im
Boden vertrauen dürfen. Ihr fein abgestimmtes
Zusammenspiel beruht auf der
Erfahrung und Weiterentwicklung von
Prozessen, die die Evolution in den letzten
Jahrmillionen hervorgebracht hat. Böden
sind hochdivers. Um in jedem klimatischen
und biogeographischen Kontext wirken zu
können ist besonders die hohe Diversität
der Bodenorganismen entscheidend.
Wertschätzung
Bereits Charles Darwin war der Überzeugung,
dass es wohl nicht viele andere Tiere
auf der Welt gebe, die für die Geschichte
der Erde eine so bedeutungsvolle Rolle wie
die Bodenorganismen spielten 8. Sicher
ist, dass es wohl nicht annähernd möglich
ist, den tatsächlichen Wert der Ökosystemleistungen
eines aktiven und diversen
Bodenlebens monetär zu erfassen. Die
Europäische Kommission versuchte sich
dennoch daran und beziffert den Wert
allein für die EU auf 28 Milliarden Euro pro
Jahr 9. Die wichtigere Frage ist aber wohl,
was ein aktives und diverses Bodenleben
für all seine Ökosystemleistungen verlangt.
Die Antwort ist erfreulich: Im Grunde
ist ein aktives und diverses Bodenleben
bereits zufrieden, wenn es seine Ruhe und
etwas Gutes zu Fressen bekommt. Und
selbst hier sind die Ansprüche äußerst
„
Wie Sie sehen, sehen Sie nichts. Und
doch bietet der Boden einem aktiven
und hochdiversen Leben ein Zuhause.
8 Science Slam IGW