
Große Herausforderungen
für Filialbetriebe
Dies stellte die Filialbetriebe in der Backbranche
Lebensmittelrecht vor riesige Herausforderungen:
alle Zutaten und Rezepturen mussten auf
Allergene abgeklopft werden, ein komplett
neues Kennzeichnungs-Regieme musste
aufgebaut und dauerhaft aktuell gehalten
werden. Neben dieses rein praktische
Problem trat noch ein rechtliches: es gab
lange Zeit keine klaren Regeln zur Allergenkennzeichnung
loser Waren. Der EUGesetzgeber
hatte im Artikel 44 der LMIV
die Regelung loser Ware ausdrücklich den
Mitgliedsstaaten überlassen. Der deutsche
Gesetzgeber hatte zwar bereits 2011 beteuert
ein Anpassungsgesetz zur LMIV schaffen
zu wollen. Ein Entwurf ließ freilich auf
sich warten, und mit dem Näherrücken des
LMIV-Geltungstermins Ende 2014 wuchs
auch die Unsicherheit bei den Filialbäckern.
Schwierige Übergangszeit
Im Sommer 2014 erschien der erste Referentenentwurf
des Anpassungsgesetzes, der
jedoch so mängelbehaftet war das ihn der
Bund nicht weiterverfolgte. Quasi in letzter
Minute wurde dann im Dezember 2014 die
Vorläufige Lebensmittelinformations-Ergänzungsverordnung
(VorlLMIEV) aus der Taufe
gehoben. Sie regelte allerdings nur Teile
der Allergenkennzeichnung, andere Anpassungen
nationalen Rechts an EU-Recht mussten
warten. Im März 2016 erschien dann
überraschend die LMIV-Durchführungsverordnung
(LMIVDV), tatsächlich mit einer nun
umfassenderen Allergen-Regelung.
Klare Regeln zur
Allergenkennzeichnung
Letztlich hat der deutsche Gesetzgeber
hiermit eine gute Kennzeichnungsregel für
Allergene geschaffen. Denn die Möglichkeiten,
auf die Stoffe des Anhanges II der
LMIV hinzuweisen, sind bei der losen Ware
sehr liberal gestaltet: es darf auf Preisschildern,
in Aushängen, Kladden oder – unter
bestimmten Bedingungen – auch mündlich
auf die Allergene hingewiesen werden. Für
den Verkäufer loser Backwaren, ob klein
oder groß, gibt es also viele flexible Möglichkeiten
seiner Pflicht nachzukommen und
den Verbraucher zu informieren.
Aber: keine abschließende
Regelung der Losewaren-
Kennzeichnung
Wer jedoch glaubte nun sei das Kennzeichnungsrecht
loser Ware in Deutschland vollständig
30 1/2018 FOOD-Lab 1/2018 FOOD-Lab
30 wurde enttäuscht. Denn was nach
wie vor fehlt ist eine Anpassung des alten
Kennzeichnungsrechtes für Zusatzstoffe
an das neue Recht. Und das bedeutet für
jeden, der Backwaren lose anbietet, eine
Vielzahl neuer Probleme.
Rechtsgrundlage für die Zusatzstoff-
Kennzeichnung in Bäckereifilialen ist seit
Jahr und Tag § 9 der Zusatzstoffzulassungs-
Verordnung (ZZulV). Dieser Paragraph ist
sperrig: er erstreckt sich über neun Absätze
und zahlreiche Unterabsätze, und ist bei
Praktikern wegen seine Anfälligkeit für Fehlinterpretationen
bekannt. Obwohl das Zusatzstoffrecht
bereits seit Jahren europäisch
geregelt ist besteht dieser Wurmfortsatz
deutschen Kennzeichnungsrechtes fort. Seit
1998 hat es keine inhaltlichen Änderungen
des Gesetzes gegeben. Daher ist es eigentlich
kein Wunder das es mit dem aktuellen
Allergenkennzeichnungsrecht nach der
LMIVDV nicht recht zusammenpasst.
Nicht kompatibel:
Allergen- und Zusatzstoff-
Kennzeichnung
Das zeigt sich schon wenn man die Art der
Kennzeichnung vergleicht, welche ZZulV einerseits
und LMIVDV andererseits fordern.
Bei den Allergenen ist der Gesetzgeber
sehr liberal: praktisch jede Form der Kommunikation
ist erlaubt, sei es die Kladde,
Aushänge, mündliche Auskunft, oder sogar
Tablet-Computer oder der Ausdruck der „intelligenten
Kasse“, bei der Allergene aller
Backwaren als Datei hinterlegt sind. Kurz:
bei Allergenen geht praktisch alles. Sehr
anders bei Zusatzstoffen: hier wird verlangt
das Informationen immer schriftlich vorliegen
und - so der Gesetzeswortlaut - für den
Kunden „unmittelbar zugänglich“ sind. (§ 9
Absatz 8 Nr. 3 ZZulV) Dieser Unterschied im
Wortlaut hat ganz handfeste Auswirkungen
in der Praxis: die Lebensmittelüberwachung
hat mehrfach Kassenausdrucke mit Zusatzstoffen
und Allergenen als nicht ausreichend
für die Kundeninformation beurteilt.
Begründung: die Zusatzstoff-Infos seien für
Kunden nicht „unmittelbar zugänglich“,
weil erst an der Kasse nach dem Ausdruck
gefragt werden muss.
Gesetzeslücke behindert
die technische Entwicklung
Diese Lücke zwischen Allergen- und Zusatzstoffrecht
behindert die technische
Entwicklung in den Filialbäckereien. Kassensysteme
mit zentralisierter Datenverarbeitung
haben große Vorteile: sie können
laufend, schnell und für alle Filialen aktuell
gehalten werden. Sie informieren einfach,
umfassend und für den Kunden greifbar
über alle Backwaren. Die intelligente Kasse
- oder andere IT-gestützte Informationssysteme
- wären ein Quantensprung für die
umfassende Kundeninformation. Das ist so
aber unter den gegenwärtigen Gesetzesregeln
nicht machbar: wer mühevoll sein ITSystem
aufgebaut hat kann es zwar zur Allergeninformation
nutzen. Daneben muss
er aber immer noch die vollverschriftlichte
Zusatzstoff-Info vorhalten – mit doppeltem
Aufwand und doppelter Fehleranfälligkeit.
Ob der Gesetzgeber diese „Gürtel und
Hosenträger“-Lösung gewollt hat?
Risikogewichtung
in Unwucht
Die „unmittelbar zugänglich“-Anforderung
zeigt darüber hinaus eine merkwürdige
Risikogewichtung des Gesetzgebers auf:
die Allergenkennzeichnung dient dem Gesundheitsschutz.
Allergien sind ernstzunehmende
Krankheitsbilder, die in ihren schweren
Ausprägungen bei den Betroffenen zu
anaphylaktischen Schocks und bleibenden
Schäden bis hin zum Tod führen können.
Trotzdem sind ihre Kennzeichnungsregeln
– wie oben gezeigt - sehr liberal, was aber
zur Information der Kunden auch ausreicht.
Bei Zusatzstoffen vermutet der Gesetzgeber
nur ein „erhöhtes Informationsinteresse“
der Verbraucher. Trotzdem besteht er weiter
auf einer Verschriftlichung aller Informationen
und behindert damit, wie oben gezeigt,
kundenfreundliche Innovationen bei
der Aufklärung des Kunden.
Fazit
Es lässt sich feststellen: der Gesetzgeber
hat mit der LMIVDV eine gut brauchbare
Norm zur Allergenkennzeichnung loser Waren
geschaffen. Leider hat er die Gelegenheit
verpasst das Kennzeichnungsrecht für
Zusatzstoffe an diese Regeln anzupassen.
Das rächt sich bereits jetzt in der Praxis: die
Filialbäcker müssen weiter mit unterschiedlichen
Normen und verschiedenen Kennzeichnungsforderungen
hantieren. Der Gesetzgeber
ist daher aufgefordert die ZZulV
zu reformieren und endlich Regeln zu schaffen,
die beim Verkauf loser Backwaren eine
Kennzeichnung aus einem Guss ermöglicht.
Das ist nicht zuletzt auch im Sinne der Kunden,
die eine zersplitterte Information aus
Kassenausdruck und Kladde eher verwirrt,
und der Lebensmittelüberwachung, die solche
Regeln in der Praxis kontrollieren muss.